Transkription von Notenhandschriften

Lange Zeit dachten Volks- und Folkmusiker, dass fast keine alten Notenhandschriften in Deutschland erhalten wären. In den letzten Jahren werden immer mehr wieder öffentlich, nachdem sie lange in Archiven oder sogar auf Dachböden lagerten.

Um einige dieser Handschriften einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen habe ich angefangen diese in moderne Notenschrift umzusetzen. Bei der Transkription geht es mir in erster Linie darum, dass die Noten gut lesbar sind, heutigen Lesegewohnheiten möglichst entsprechen, sich dabei jedoch nicht zu weit vom Original entfernen. Da ich ein Notensatzprogramm verwendet habe, ergibt sich außerdem die Möglichkeit der digitalen Weiterverarbeitung. Zum Beispiel können die Stücke auch für nicht des Notenlesens Kundige verfügbar gemacht werden, indem der Computer sie vorspielt. Die Aufnahme, gespielt von einem 'echten' Musiker, wäre natürlich noch viel besser.

Wer sich für diese Musiken interessiert sollte sich unbedingt die Originale ansehen! Sie geben einen kleinen Blick auf den, der sie aufgeschrieben hat. Schön gestaltete Blätter mit dem Namen und Herkunft, der Jahreszahl stehen oft am Anfang der Handschriften.

Die Handschriften der Tanzsammlung Dahlhoff und von Karl Gottlob Wiegand sind für und von Geigern aufgeschrieben worden und zum Teil auch mit Interpretationshilfen (Bindebögen, Staccatopunkte etc.) versehen. Nur in Ausnahmefällen habe ich diese übernommen, also an besonders interessanten Stellen. In der Regel entsprechen gerade die Bindebögen den einfachsten Formen von Bindung und sind leicht selbst einzufügen. Mir persönlich ist der freie Umgang mit Interpretationshilfen wichtig. Im Barock (Dahlhoff) war es noch üblich ziemlich frei zu interpretieren, wogegen es Mitte des 19. Jahrhunderts (Wiegand) schon völlig ausgeschrieben wurde. Wer sehr nah am Original spielen möchte und gerne wissen möchte wie und wo Interpretationshilfen notiert sind kann sie sich aus den Originalen heraussuchen und leicht selber übertragen. Je nach Spieler würde man diese heute anders setzen und da wollte ich den Blick nicht verbauen.

Andere Instrumente? Auch wenn die Stücke im Original für Geigen notiert sind, so werden sie inzwischen auch auf anderen Instrumenten wie Dudelsäcken, diatonischen Akkordeons etc. gespielt. Man muss die Stücke eventuell in andere Tonarten transponieren oder sogar Teile umschreiben.

Im folgenden werden die Handschriften nur mit dem Nachnamen bezeichnet, also Dahlhoff und Wiegand. Dahlhoff ist eine Sammlung des ausgehenden 18. Jahrhunderts und im Wiegand ist 1854 angegeben.

Primo, Secondo und Basso sind in den Handschriften die Bezeichnungen für die jeweiligen Stimmen, also die erste, zweite Stimme und Bass.

Überschriften

Die meisten Stücke haben eindeutige Titel, die auf die Tänze verweisen, die dazu getanzt wurden. Das macht sehr deutlich, dass es sich um 'Funktionsmusik' gehandelt hat, die wohl weniger konzertant aufgeführt als zum Tanz aufgespielt wurde.

Im Dahlhoff gibt es vor allem Titel wie „Menuet“ oder „Tantz“, manchmal aber auch solche, die gar nichts zu dem Tanz aussagen wie z.B. "Rode See" (I ,106).

Wiegand war kreativer. Das erste Stück heißt nur „Walzer“, es folgt der „Kleiner Anfangs Schottisch“. In diesem Stil folgen viele weitere Titel wie „Sonntags Polka“ oder „Beliebiger Walzer“.

Manche Titel sind in den Handschriften für mich nicht lesbar, an den Stellen habe ich dann die üblichen „...“ gemacht. Sollte jemand die Handschrift besser lesen können, dann füge ich die Titel gerne ein.

Grundsätzlich habe ich mich bemüht die Titel so abzuschreiben, wie sie in den Handschriften stehen, d.h. mit der jeweiligen Schreibweise auch wenn sie uns heute merkwürdig aussieht. Ich finde es steht mir nicht an das zu verbessern.

Die Notationsformen und ihre Umsetzung

Ganz generell handelt es sich um heute noch gut zu lesende Notenformen. Manchmal ist der Hals auf der anderen Seite der "Notenkugeln" angebracht, da liest man sich aber leicht ein. Das Alter oder der Zustand einer Handschrift verändert die Qualität des Papiers und so ist manchmal einiges nicht zu lesen. Schwer wird es, wenn in den Handschriften ver- oder ausgebessert wurde. Gerade im Dahlhoff wurde in einigen Stücken viel mit weiß überschrieben und jetzt ist manchmal nur zu raten welcher Ton wirklich gemeint sein könnte:

Bei der nachträglichen Durchsicht der Transkriptionen fallen mir immer wieder Fehler auf, die ich auch gerne korrigiere. Wenn ein Stück in der Transkription merkwürdig klingt, dann doch mal ins Original sehen - und mir bitte mitteilen, wo ich vielleicht etwas falsch abgeschrieben habe.

Besonderheiten

  • Voltenklammern:
    Bei Dahlhoff in den älteren Heften ist diese Schreibweise nicht vorhanden. Bei Stücken mit Auftakt sind sie aber nötig um die richtigen Taktmaße zu erreichen (vgl. z.B. I, 106). Ich habe sie eingefügt um die richtigen Taktlängen zu erreichen.
  • bis - Wiederholung:
    Das italienische Wort 'bis' markiert zusammen mit einer Klammer einen zu wiederholenden Teil, meist mitten in einer Notenzeile.
  • Abbreviaturen:
    Wiegand arbeitet besonders viel damit.

    Abbreviaturen erleichtern die Lesbarkeit. Damit der Spieler weiß wie er sie auszuführen hat, sind sie bei ihm mit Pünktchen versehen. Besonders in der zweiten Stimme (Secondo) ist die ausgeschriebene Fassung anstrengend zu lesen. Leider wird diese Notation von vielen digitalen Notationsformaten nicht unterstützt (ABC, MusicXML).
  • Brillen-Noten:
    sind eine besondere Form von Abbreviaturen.

    Da ich diese mit meinem Notenprogramm nicht darstellen konnte, sind sie ausgeschrieben (aktuell - 25.6.2017 - noch als Achtel, nicht als Sechzehntel - Vielen an Dank Prof.Dr. Joachim Veit für den Hinweis).
  • Faulenzer:

    Auch diese Kurzschreibweise für Taktwiederholungen erleichtert bei Wiegand besonders der zweiten Geige das Lesen. Faulenzer wurden nicht übernommen sondern sind ausgeschrieben.
  • Bei Wiegand findet sich eine Besonderheit in der Notation der Secondos. Die zweite Geige spielt fast ausschließlich Doppelgriffe, diese sind z.T. als übliche Akkorde aufgeschrieben, manchmal auch auf eine ungewöhnliche Art. Beides ist im Bild zu sehen:

    Nach Rücksprache mit anderen Geigern vermute ich, dass es sich um eine Spielweise handelt, bei der der Bogen den unteren Ton durchspielt und der obere abgesetzt wird. Heute würde man das wahrscheinlich so notieren, dass der untere Ton mit dem ersten Ton des Taktes beginnt, was ich aber für schlechter lesbar halte. Leider habe ich keine einfache Möglichkeit, die Schreibweise in meinem Notenprogramm umzusetzen und daher diese per Hand "reingebastelt". Dadurch ist es aber nicht möglich, diese Secondos in allgemeine Formate wie MusicXML zu wandeln.

Selber eine Handschrift oder alte Noten transkribieren?

Auf jeden Fall! Nur durch ausprobieren lernt man. Anfangs hatte ich kein Konzept und eigentlich war meine Intention nur hier und da ein schönes Stück zum spielen zu finden. So ist die „Nr.66 Masurka“ (Wiegand) schon in ein Sessionrepertoire eingegangen, weil sich dieses Stück auch gut für diatonische Akkordeons eignet.

Inzwischen habe ich die Handschriften mehrfach durchgearbeitet, da ich mir im Laufe der Zeit erst das Format und Aussehen der Stücke überlegt habe.
Die Art wie die Noten dargestellt werden ist durch das jeweilige Notenprogramm bereits festgelegt, aber die Schrifttypen, Abstände, Zusatzbemerkungen usw. muss man sich eben auch überlegen. Was mache ich beispielsweise wenn die Seite am Rand ausgerissen ist und immer ein paar Noten fehlen, also wie stelle ich das dar. Ich habe mich für hellgrau und den Zusatz 'fehlt' entschieden. So kann jeder leicht die fehlenden Töne ersetzen, aber es ist klar, dass sie im Original fehlen oder manchmal 'unleserlich' sind. Eine beliebte Methode, die in den Handschriften schon vorkommt, ist es die zweifelhaften Noten mit Buchstaben für die Töne zu versehen. Hier ein Beispiel bei Dahlhoff, ähnliches gibt es aber auch bei Wiegand: