Notenbuch des Karl Gottlob Wiegand

Karl Gottlob Wiegand hat dieses Heft 1854 für zwei Geigen notiert. Fast alle Stücke bestehen aus Primo und Secondo, also erster und zweiter Stimme. Im aufgeschagenen Buch steht jeweils die erste Stimme rechts, die zweite Stimme auf der linken Seite. Gegen Ende des Buches sind dann einige Stücke ohne zweite Stimme notiert worden, vermutlich durch eine andere Person, denn es ändert sich die Handschrift.

Das Heft beginnt mit „Anfangsgründe, auf Violine“, bei denen zunächst die Saiten und ihre Töne dargestellt werden, dann folgen Noten-/Pausenwerte, Tonsprünge und Tonleitern. Erst dann folgen die Tänze.

Beim Durcharbeiten fiel auf, dass auch andere Instrumente vermerkt wurden wie „Tromb.“, „Pauken“ usw. Es scheint, als wären die Stücke in größerer Besetzung gespielt worden.

Vor Jahren bekam ich einen Hinweis auf diese Noten von Bernd Dittl, der die Handschrift von Jörg Wegner bekam:

Jörg ist Pfarrer in der Evangelischen Versöhnungsgemeinde Stegen im Dreisamtal, Schwarzwald, Nähe Freiburg. Er ist auch Orgelbauer und spielt unter anderem verschiedene Dudelsäcke der Balkanländer und Diatonisches Akkordeon.
Jörg Wegner hat die Handschrift ca. 1978 im Kreis Lippe, Externtal (zwischen Hameln und Lemgo) von der Enkelin eines ehmaligen „Tanzmusikanten“ geschenkt bekommen. Auf deren Dachboden befanden sich damals noch weitere Gegenstände des Nachlasses dieses Musikers (Geigen, ein Kontrabass, eine Buchsbaumklarinette mit 2-3 Klappen, etc.).

Das Original liegt heute in der Beratungsstelle für Volksmusik in Franken (in Eibelstadt bei Würzburg). Franz Josef Schramm hat eine kurze lesenswerte Zusammenfassung dazu geschrieben.

Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Wegner, dem Besitzer des Originals, veröffentlichen wir also diese Transkription. Mein Anliegen ist es, diese Musik vielen Musikern leichter zugänglich zu machen. Um einen möglichst freien Umgang mit den Noten zu gewährleisten stelle ich die Transkription unter die unten aufgeführte Lizenz.

Und auch bei dieser Abschrift lege ich euch and Herz: Spielt die Stücke und spielt mit ihnen, findet eure Lieblingsmelodien und bearbeitet sie, damit diese Musik lebendig bleibt!


Richmud Rollenbeck, November 2016

Download meiner Transkriptionen

In den PDFs habe ich mich bemüht, dass alle Stücke jeweils vollständig auf einer Seite stehen. Lediglich bei den Duos ist der Tharander Communalgarden Marsch umgebrochen, der ist sehr lang. Die Reihenfolge der Duos entspricht teilweise nicht der Nummerierung.

"KGW Nr 074 Contretanz" ist ein Beispiel für eine Bearbeitung als Walzer für Dudelsack (Primo) und Geige (Secondo).

Stand 21. November 2016

Das Original liegt in der Beratungsstelle für Volksmusik in Franken (in Eibelstadt bei Würzburg) und ist auch über deren Webseite öffentlich verfügbar. Wir haben die Links entsprechend angepasst. Die Transkription ist unverändert geblieben, darum haben wir die Dateinamen nicht geändert.
Vielen Dank an Franz Josef Schramm für die Richtigstellung.

Stand 20. November 2016

Vielen Dank an Thomas Behr für das Entziffern einiger Titel.
"Nr.123 Andante" hatte noch einige Abschreibfehler, die jetzt korrigiert sind.
"Nr 74 Contretanz" habe ich vor Jahren für's Zusammenspiel mit Dudelsack bearbeitet und stelle das hier vor. Die eigentliche 2. Stimme von Wiegand legt nahe, dass es sich um eine Walzermelodie handelt, daher habe ich es als 3/4 notiert. Dieses Secondo ist jetzt die 3. Stimme und die 2. Stimme ist von mir.

Stand 19. November 2016

Ein ganzes neues altes Notenheft ist fertig. Zumindest erst einmal als pdf, die xml-Version wird noch ein bißchen dauern. Da gibt es noch technische Probleme, denn einige Schreibformen (z.B. Abbreviaturen...) werden nicht sauber übertragen.

Unbedingt im Original ansehen sollte man sich die hübschen ersten Seiten auf denen die Pausen, Tonleitern usw. erklärt werden, diese sind nicht in den Transkriptions-Pdfs enthalten.

Creative Commons Lizenzvertrag
Transkription "Notenbuch des Karl Gottlob Wiegand" von Richmud Rollenbeck ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.
Sie beruht auf der digitalisierten Fassung der Handschrift unter http://volksmusik-magazin.de/wp-content/uploads/daten_magazin/BVFMU_HN_0004_Wiegand_1854.pdf.

Karl Gottlob Wiegand und seine Zeit

An dieser Stelle möchte ich einfügen, was Jörg Becker als Ergebnisse seiner Nachforschungen im Mai 2020 in der FolkMail veröffentlicht hat.
Vielen Dank, Jörg!


Von Braunsdorf bis zur Dresdner Frauenkirche sind es nur etwa 12 km. Also eine Notensammlung aus "meiner" Gegend, so dass es für mich interessant ist, die Person (und damit das Material) einzuordnen. Seit Richmud das Digitalisat veröffentlicht hat, habe ich also versucht, Informationen zu KGW zusammenzutragen. Sehr schade, dass sie diese Mail nicht mehr liest, aber die "Eckdaten" kannte sie schon.

Die Angaben sind bei weitem nicht vollständig, reichen aber, zumindest für mich, zur Einordnung aus. Daher ist diese Mail für mich der Abschluss der Recherche.
Falls das jemand veröffentlichen oder vertiefen möchte: Sehr gern! Bitte ein Hinweis an mich, da es mich natürlich interessiert.

Braunsdorf gehörte im 19. Jhdt. verwaltungstechnisch zu Tharandt (ca. 4 km südlich), während die Kirchgemeinde zur Kesselsdorfer St. Katharinenkirche gehörte (gut 2 km nordöstlich). Bei der Kirche hat sich nichts geändert, aber Braunsdorf ist heute Ortsteil von Wilsdruff.
Freital wurde erst 1921 als Zusammenschluß von Gemeinden im Döhlener Becken / Weißeritztal gegründet.
https://de.wikipedia.org/wiki/Braunsdorf_%28Wilsdruff%29
https://www.wilsdruff.de/?pgId=135
https://hov.isgv.de/Braunsdorf_%283%29
https://de.wikipedia.org/wiki/Tharandt
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilsdruff
https://de.wikipedia.org/wiki/Kesselsdorf
https://de.wikipedia.org/wiki/Freital

KGW war Bergmann, sehr wahrscheinlich in einer Steinkohlen-Grube im Döhlener Becken. Es gab bei Braunsdorf auch Kalkgruben, aber die Familie Wiegand war nicht arm und KGW war offensichtlich im regionalen gesellschaftlichen Leben eingebunden.
Um die für die Industrialisierung benötigte Steinkohle zu fördern, wurde seit 1850 der Abbau von Steinkohle im Döhlener Becken intensiviert. Dafür war es üblich, neue Bergleute und Bergleute aus anderen Revieren mit Vergünstigungen anzuwerben.
https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%B6hlener_Becken
https://www.bergbaufreunde-sachsen.de/am-rande-des-erzgebirges/d%C3%B6hlener-becken/

Sehr wahrscheinlich hat KGW mindestens in seiner Zeit als Bergmann im Rahmen der Knappschaft musiziert, wofür auch die ausgeschriebenen Arrangements einiger Stücke sprechen. So etwas kann man sich heute bei den Bergparaden im Erzgebirge anhören.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bergparade
Mit Sicherheit hat er die "Schlager" seiner Zeit gespielt. Ob z.B. auf Feiern oder in den umliegenden Gasthöfen zum Tanz, ist Spekulation, aber zu vermuten. Ein beliebtes Ausflugs- und Tanzlokal war seinerzeit z.B. auf der Goldenen Höhe, gut erreichbar mit der Windbergbahn.
Goldene Höhe: https://de.wikipedia.org/wiki/Gohlig
Windbergbahn: https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Freital_Ost%E2%80%93Possendorf

KGW war weder an der Königlich-Sächsische Forstakademie Tharandt, noch an der heutigen TU Dresden immatrikuliert.
Im Archivverbund Pirna waren keine Unterlagen zu KGW zu finden.
Relevante Unterlagen sind archiviert im

In Braunsdorf leben noch Wiegands, aber eine Nachfrage hat keine Ergebnisse gebracht.

Weitere Anlaufstelle wären

  • der Ortschronist von Braunsdorf, der auch eine Chronik veröffentlicht hat:
    Erhart Heinze: Heimat-Geschichte Braunsdorf (Stadt Wilsdruff), 2003
    Das Buch ist vor Ort erhältlich, ich habe es nicht.
  • Der Berbau-Verein, vor allem, da die "Schiene" Bergbau vermutlich die interessantere ist.

Für Bergbau-Interessierte:
Bergbau-Verein: http://www.bergbauverein-freital.de/
Malakow-Turm: https://de.wikipedia.org/wiki/Marienschacht
Museum Freital: https://www.schloss-burgk-freital.de/ (kleines Museum mit Strecke, gehört zum Schloß)
Kalkbergwerk: http://www.unbekannter-bergbau.de/inhalte/spot_12_2017_kalkwerkTharandt.htm

Zeittafel

1542-1967 Steinkohle-Bergbau im Döhlener Becken
ab 1850 Intensivierung des Bergbaus (Industrialisierung)
1854 KGW beginnt sein Notenheft
? Verheiratet mit Johanne Christiane geb. Schönberg [1]
ca. 1866 Geburt seines Sohnes Ernst Karl August Wiegand [1]
1868 Geburt seines Sohnes Julius Wilhelm Wiegand [2]
1876 Hausbesitzer und Bergarbeiter [1]
1888-1944(?) Zigarrenfabrik Wilhelm Wiegand [3][4]
1892 Ehe von Julius Wilhelm Wiegand und Auguste Anna Thomas [2]
1889 Haus-Nr 28. Wiegand, Karl, Hausbes. Musikus [5]
1907 Haus-Nr 28. Wiegand, Gottlob, Invalid und Musikus [6]
1921 Gründung der Stadt Freital
2016 "Das Notenbuch des Karl Gottlob Wiegand, 1854" im www [7][8]

Quellen

[1] Personenstandsregister Dresden & Vororte ab 1876
[2] Standesamt Unkersdorf Nr. 1 / 1892
Julius Wilhelm Wiegand, 2. Oktober 1868 (Braunsdorf) und Auguste Anna Thomas, *6. Juli 1864 (Lercha)
[3] Grosses Landes-Adressbuch Königreich Sachsen (Handel und Gewerbe) 1898
[4] Fabrikanten-Adressbuch Sachsen und Thüringen 1901
[5] Adreß- und Geschäfts-Handbuch für die Ortschaften der beiden Kgl. Sächs. Amtsgerichtsbezirke Döhlen-Tharandt 1889/90
[6] Adreßbuch des Bezirks der Königl. Amtshauptmannschaft Dresden-Altstadt 1907/08
[7] https://richmud.de/handschriften/notenbuch-karl-gottlob-wiegand.html
[8] https://www.volksmusik-magazin.de/das-notenbuch-des-karl-gottlob-wiegand-1854/

Offene Fragen

Woher stammt Karl Gottlob Wiegand?
Wo und bei wem hat er sein Geigenspiel gelernt?
Hat er weitere musikalische Wurzeln?
Läßt sich der Weg des Notenheftes nachvollziehen?

Und damit komme ich abschließend zum "ultimativen" Urlaubstip:
Auf den Spuren von KGW durch die sächsische Kultur- und Bergbaulandschaft.

Viele Grüße
Jörg